Welt der Kinder

Weltwissen und Weltdeutung in Schul- und Kinderbüchern zwischen 1850 und 1918

Nur wenige Perioden der Geschichte waren so sehr von einer Änderung der tradierten Wissensbestände betroffen wie die zweite Hälfte des langen 19. Jahrhunderts.

Die erste Globalisierung veränderte nachhaltig die Sicht auf die Welt, nicht nur für Erwachsene, sondern auch und vor allem für Kinder und Heranwachsende; Prozesse beschleunigter Globalisierung fielen unmittelbar zusammen mit wachsendem Nationalismus, Fortschrittsgläubigkeit und Krisenangst, Industrialisierung und Zerstörung traditioneller Lebenswelten, wachsende Armut und Verbürgerlichung bestimmten gleichermaßen den Alltag und waren insofern als Elemente der Entgrenzung und der Begrenzung von Weltbildern eng miteinander verschränkt. Der wachsende Buchmarkt reagierte auf vielfältigste Weise auf die neuen Lesegewohnheiten,  –wünsche und –Anforderungen. Trotz dieses Befundes existieren zwar einige Einzelstudien, doch wissen wir in der Breite wenig über die Bilder, die sich junge Menschen in einer durch Beschleunigung, Fortschritt und Traditionsverlust geprägten Zeit von „ihrer“ Welt machen konnten. Daher stellen Schul- sowie Kinder- und Jugendbücher eine besonders geeignete Quellenart da, um sowohl eine quasi offizielle Weltdeutung des Wandels als auch eine breite Rezeption nachzustellen. Denn nur wenige Quellen lassen einen solch unverstellten Rückschluss auf das zu, was sowohl im Prozess der nationalen Staatsbildung wie im veränderten Wissen um die Welt als relevant erachtet wurde.

Doch stellt die schiere Anzahl sowohl an Schul- wie an Kinder- und Jugendbüchern – das Projekt bearbeitete ein Korpus von ca. 3.800 digitalisierten Werken – eine enorme Herausforderung für die bisherigen Methoden der Geschichtswissenschaften dar.

  • Ziele

    Um hier neue Ansätze zu entwickeln und schon existierende Werkzeuge der Digital Humanities sowie der Computerlinguistik zu testen und zu verbessern, schloss sich im Mai 2014 eine korporative Forschergruppe aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Georg-Eckert-Instituts (Geschichtswissenschaften), Stiftung Universität Hildesheim (Informationswissenschaften) und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung/TU Darmstadt (Computerlinguistik, Softwareentwicklung) zusammen. Erweitert wurde dies um Partner an der Universitätsbibliothek Braunschweig, der Universität Zürich, dem Göttingen Centre for Digital Humanities und der Bayerischen Staatsbibliothek. Das Projekt erschloss dabei in transdisziplinärer Weise neue Wege der Erkenntnisgewinnung , reflektierte deren Reichweite in Bezug auf etablierte qualitative Verfahren und trug so dazu bei,  potenziell die Grenzen historischer Forschung zu verschieben.


  • Vorgehensweise

    Vorgehensweise

    Finanziert durch den Leibniz-Wettbewerb der Leibniz-Gemeinschaft zielte das Projekt darauf ab die Übertragung von bisher in anderen Bereichen der Digital Humanities erfolgreich angewandten Werkzeugen (wie Topic Detection und Opinion Mining) für Historikerinnen und Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts fruchtbar zu machen. Hierzu galt es für den Verbund, intertextuelle Verknüpfungen zu rekonstruieren, thematische Cluster zu benennen und semantische Felder zu erschließen, nicht nur um quantitative Befunde zu erheben, sondern um diese auch historisch zu kontextualisieren und erklären zu können. Dies eröffnete neue Zugänge zu „Massen“‑Quellen, die als zeittypische Muster der Weltdeutung und Elemente kulturellen Gedächtnisses dieses gleichermaßen gespiegelt und geformt haben, in der bisherigen Forschung aber unterreflektiert blieben. Darüber hinaus sollte das Projekt auch Hypothesen generieren, die die Historikerinnen und Historiker aufgreifen und anhand der hermeneutischen Analyse ausgewählter Werke wiederum verfeinern können. Im Einzelnen wurden dafür Worthäufigkeiten, grammatische Formen, semantische Felder und die Positionierung von Akteuren und Themen untersucht. Im Sinne einer Nachhaltigkeit des Projektes wurden dabei die entwickelten Ansätze nicht nur der Forschung dargestellt und so gefiltert, sondern auch als digitale Bestände mit dem im Projekt entwickelten „Welt-der-Kinder Explorer“ zur Verfügung gestellt.


  • Ergebnisse

    Die Werkzeuge zur Analyse des „GEI-Digital“ Korpus stehen, ebenso wie Visualisierungen der Metadaten auf der Projektwebseite zur Nachnutzung zur Verfügung

    http://wdk.gei.de/ (Softwaretool)

    Publikationen (Auswahl):

    • Lässig, Simone; Weiß, Andreas (Hrsg.): The World of Children: Foreign Cultures in Nineteenth-Century German Education and Entertainment. New York; Oxford: Berghahn Books, 2019.
    • Themenheft World Knowledge and Non-European Space: Nineteenth-Century Geography Textbooks and Children’s Books, JEMMS. Journal of Educational Media, Memory, and Society 10 (2018), 1.
    • Weiß, Andreas / Nieländer, Maret: „Schönere Daten“ – Nachnutzung und Aufbereitung für die Verwendung in Digital-Humanities-Projekten, in: Nieländer, Maret; De Luca, Ernesto William (Hrsg.): Digital Humanities in der internationalen Schulbuchforschung (Eckert.Expertise 9). Göttingen: V&R unipress, 2018, S. 91-116; www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/sozial-rechts-und-wirtschaftswissenschaften/sozialwissenschaft/49223/digital-humanities-in-der-internationalen-schulbuchforschung.
    • Weiß, Andreas /Heuwing, Ben: Suche und Analyse in großen Textsammlungen: Neue Werkzeuge für die Schulbuchforschung, in: Nieländer, Maret; De Luca, Ernesto William (Hrsg.): Digital Humanities in der internationalen Schulbuchforschung (Eckert.Expertise 9). Göttingen: V&R unipress, 2018, S. 145-169; www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/sozial-rechts-und-wirtschaftswissenschaften/sozialwissenschaft/49223/digital-humanities-in-der-internationalen-schulbuchforschung.
    • Weiß, Andreas: Introduction: World Knowledge and Non-European Space Nineteenth-Century Geography Textbooks and Children’s Books, in: Weiß, Andreas (Hrsg.): „Weltwissen und der außereuropäische Raum: Geographieschulbücher und Kinderbücher des 19. Jahrhunderts im internationalen Vergleich“. JEMMS. Journal of Educational Media, Memory, and Society 10 (2018), 1, S. 1-9.
    • Weiß, Andreas: Reading East Asia in Schools of the Wilhelmine Empire, in: Weiß, Andreas (Hrsg.): „Weltwissen und der außereuropäische Raum: Geographieschulbücher und Kinderbücher des 19. Jahrhunderts im internationalen Vergleich“. JEMMS. Journal of Educational Media, Memory, and Society 10 (2018), 1, S. 10-27 (peer reviewed).
    • Weiß, Andreas /Fechner, Martin: Einsatz von Topic Modeling in den Geschichtswissenschaften: Wissensbestände des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für digitale Geschichtswissenschaft (2017); zfdg.de/2017_005 (open reviewed).
    • Weiß, Andreas: Der Kolonialkrieg im deutschen Schulbuch des Kaiserreiches, in: Portal Militärgeschichte, 21. November 2016; portal-militaergeschichte.de/node/1675.
    • Fiedler, Maik: Wissensgeschichte aus dem Schulbuch – ‚Mixed Analysis‘ oder Diskurs 2.0? In: Rath, Imke (u.a.).: Methoden und Theorien der Bildungsmedien‐ und Bildungsforschung – Ein Werkstattbericht von Nachwuchswissenschaftlerinnen und ‐wissenschaftlern des Georg‐Eckert‐Instituts, S.44-63 - URI: http://repository.gei.de/handle/11428/233

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