Islamischer Religionsunterricht.

Aushandlung, Vermittlung und Aneignung eines neuen Faches

In den Debatten um den Islam in Deutschland spielt die religiöse Bildung für junge Muslim*innen seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle. Mittlerweile besteht weitgehend Konsens darüber, dass der Islamische Religionsunterricht (IRU) als ordentliches Schulfach nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes in staatlichen Schulen eingeführt werden soll. Als einer der Vorreiter hat Niedersachsen den IRU zum Schuljahr 2013/14 eingeführt und damit eben dies umgesetzt. Aktuell ist die Frage also nicht mehr ob der IRU eingeführt werden soll, kontrovers diskutiert wird vielmehr, wie er gestaltet werden soll: Welche Ziele soll er verfolgen? Welche Probleme adressieren? Was genau passiert im Unterricht? Während die Kontroverse noch in vollem Gang ist, hat der Unterricht bereits begonnen.

  • Ziele

    Das Projekt nahm die erste systematische und vertiefte Studie zum IRU in Grundschule, Sekundarstufe I und II auf der Basis von Interviews, Unterrichtsbeobachtungen und Analysen der Lehrpläne und -materialien in Niedersachsen vor.

    Weil an das Fach konfligierende politische, religiöse und pädagogische Erwartungen gerichtet werden, gewinnt die Frage nach der Umsetzung in der Praxis an Relevanz und Dringlichkeit. Um diese Frage zu bearbeiten, untersuchte das Projekt, wie Autor*innen von Curricula und Schulbüchern sowie Lehrende und Schüler*innen in ihrer täglichen Praxis zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen navigieren. Dieses übergreifende Ziel wurde in drei Forschungsfragen übersetzt:

    1. Welche Inhalte sollen – nach Meinung der zentralen Akteur*innen – im Islamischen Religionsunterricht vermittelt werden?
    2. Welche Inhalte werden im konkreten Unterrichtsgeschehen vermittelt, wie werden sie angeeignet, und warum werden sie – aus Sicht der Akteur*innen – so ausgehandelt?
    3. Welche Islaminterpretationen werden in Curricula und Lehrplänen, aber auch in der Unterrichtspraxis artikuliert?

  • Vorgehensweise

    Teilstudie 1 bearbeitete die erste Frage: Mit Blick auf Lehrpläne (“policy Curriculum”) sowie auf Schulbücher und weitere Lehrmaterialien (“programmatisches Curriculum), wurden Materialien analysiert und Interviews mit Bildungspolitiker*innen, Kommissionsmitgliedern, Autor*innen und Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften durchgeführt. Teilstudie 2 bearbeitete die zweite Frage: Mit ethnographischen Unterrichtsbeobachtungen an vier Schulen sowie Interviews mit Lehrenden und Fokusgruppen mit Schüler*innen wurde das Geschehen im Unterricht (“enacted Curriculum”) untersucht. In der Zusammenführung beider Teilstudien fragten die Projektleiterinnen nach den Deutungen des Islams in den policy, programmatischen und enacted Curricula. Im Rekurs auf die Heuristik der “Theorie des Wandels” fragte das Gesamtprojekt systematisch danach, welche Probleme der IRU aus der Perspektive der verschiedenen Beteiligten adressieren soll, wie die jeweiligen Problemwahrnehmung in Ziele und konkrete Handlungsempfehlungen übersetzt wird und was bei der Umsetzung dieser Empfehlungen in die Praxis passiert.


  • Ergebnisse

    Das Gesamtprojekt bot sowohl inhaltliche als auch methodische Innovativität: (1) Beide Teilstudien trugen zum erweiterten Wissen über das Geschehen im aktuellen IRU bei. (2) Sie zeigten auf, wie die Unterrichtspraktiken (enacted Curriculum) zu den Vorstellungen und Zielen der weiteren Entscheidungsträger (policy und programmatischen Curricula) im Verhältnis stehen. (3) Die in der bisherigen Forschung weitgehend vernachlässigten Perspektiven der Schüler*innen standen hier im Fokus. Sie regten sowohl neue Antworten auf die zentralen Forschungsfragen als auch lebens- und praxisnahe Impulse für die weitere Entwicklung des IRU an. (4) Das Projekt entwickelte und erprobte zudem einen innovativen methodischen Ansatz, der nicht nur für dieses Projekt zielführend war, sondern durch ein niedersächsisches Institut für die weitere Nutzung in Forschungsprojekten in Deutschland etabliert wurde. Gerade jetzt, wo der IRU in Niedersachsen als ordentliches Fach eingeführt worden ist und erste Lehrpläne und Materialien bereits veröffentlicht worden sind, bietet das Land die einzigartige Möglichkeit, den Prozess fundiert zu begleiten, um sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch empirisch fundierte Impulse für die Praxis zu generieren.

    Publikation

    Kübra Akdemir, Batol Kobeissi, Felicitas Macgilchrist & Riem Spielhaus (2023): Herausforderungen und Ziele des Islamischen Religionsunterrichts – eine Untersuchung von Bildungsmedien und deren Aneignung im Unterricht. In: Körs, Anne (Hrsg.) Islamischer Religionsunterricht in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS, S. 141–162. DOI: 10.1007/978-3-658-39143-0_8


  • Vorträge
    • Akdemir, K., & Kobeissi, B. (2021, 02. Juli). Bildungsmedien für den Islamischen Religionsunterricht [Vortrag]. Tagung: Islamischer Religionsunterricht - Islamische Religionspädagogik. Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG), Frankfurt. https://www.youtube.com/watch?v=XRRux4SHPCk
    • Akdemir, K., & Kobeissi, B. (2020, 20. Apil). Islamischer Religionsunterricht in Niedersachsen. Zwischenergebnisse über die Aushandlung, Vermittlung und Aneignung des neuen Faches [Vorlesung]. Ringvorlesung: Islamischer Religionsunterricht in Deutschland, Universität Hamburg. https://lecture2go.uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/30738

Projektteam

  • Felicitas Macgilchrist | Projektleitung
  • Riem Spielhaus | Projektleitung
  • Batol Kobeissi | wiss. Mitarbeiterin
  • Kübra Akdemir | wiss. Mitarbeiterin
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