Postdigitale Medienkonstellationen in der Bildung. Partizipative Analyse, Reflexion und Gestaltung des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien

Ziel der Junior Research Group (JRG) ist die Analyse, Reflexion und Gestaltung digitaler Medien im Kontext schulischen Unterrichts. Die Projektarbeit wird in Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Schüler*innen der Sek. I und II an einer IGS, einer Hauptschule und einem Gymnasium durchgeführt. Als Qualifikationsarbeiten entstehen eine medienwissenschaftliche und eine informatische Promotion sowie eine Habilitation im Schnittfeld zwischen Medien- und Erziehungswissenschaft. Das heuristische Konzept der Medienkonstellationen dient im Rahmen der Gruppe sowohl als medienwissenschaftliches Forschungs- und Transferinstrument, als auch als Hintergrundfolie für den interdisziplinären Austausch.

  • Forschung

    Die Forschungsarbeit der JRG kombiniert die miteinander verschränkten Bereiche a) partizipative Projektarbeit, b) disziplinspezifische Qualifikationsarbeiten sowie c) interdisziplinäre Forschung.

    a) Die partizipative Projektarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass die Wissenschaftler gemeinsam mit Lehrkräften und teils mit Schüler*innen Themen und Ziele im Hinblick auf digitale Medien in der Schule erarbeiten. Diese reichen von der Einführung von iPads, der Gestaltung einer schulinternen Lehrkräftefortbildung zu digitalen Medien,  einem Wissensmanagementskonzept für digitale Unterrichtstools, der Erstellung von digitalen Umfragen zu Lerninhalten durch Schüler*innen, bis zur sicherheits- und privacy-sensiblen Gestaltung eines digitalen Systems zur Auswertung von Leistungsdaten von Schüler*innen.

    b) Die disziplinspezifischen Qualifikationsarbeiten sind mit der partizipativen Projektarbeit verbunden, verfolgen aber je eigene Ziele und Fragestellungen und generieren zusätzliche Daten und Forschungsoutputs. So baut die informatische Promotion auf Interviews auf, um Bedarfe zur Gestaltung eines Systems zum privacy-sensiblen Vergleich von Leistungsdaten zu ermitteln und technisch-konzeptionelle Lösungen zu entwickeln, die informatischen Forschungsoutput darstellen, führte aber auch Literaturstudien zu digitalen Leistungsnachweisen und adaptiven Lernsystemen durch. Eine zentrale Erkenntnis zu Beginn bestand darin, dass Privacy in Artikeln zu Learning Analytics zwar regelmäßig problematisiert wird, aber sowohl Lösungsansätze als auch die Einbeziehung der Betroffenen in die Entwicklung kaum vorhanden sind. Darauf aufbauend wurde herausgearbeitet, dass auch Arbeiten an der Entwicklung von Systemen für Leistungsnachweisen die Nutzenden nicht adäquat mit einbeziehen und auch hier die Privacy Risiken nur nebensächlich adressiert werden. Sie tragen vom Aufbau insbesondere nur dazu bei, bestehende Systeme durch ein Substitut zu ersetzen, anstatt eine weitreichende Transformation der Prozesse zu ermöglichen.

    Die medienwissenschaftliche Promotion greift auf Workshopergebnisse aus partizipativen Prozessen zurück, führt aber zusätzlich Beobachtungen und Interviews durch, um eine medienpraxeologische Perspektive auf „Digitalisierungsprozesse“ zu erarbeiten. Erste Ergebnisse bestehen in der Erkenntnis, dass die im schulischen Unterricht zu beobachtenden Transformationen von Medienpraktiken sich nicht aus Digitalisierungsdiskursen oder schulspezifischen Strategien heraus erklären lassen, sondern sich aus dem häufig impliziten und situierten praktischen Vollzug des Unterrichts ergeben. Was also auf welche Art und Weise „digitalisiert“ wird, ist im Wesentlichen von den Routinen und Abläufen der Interaktionen zwischen Lehrkräften, Schüler*innen und den medientechnischen Voraussetzungen abhängig. Auf der theoretischen Ebene wurde die Herstellung von Kooperationsfähigkeit vor dem Hintergrund der Analyse schulischen Unterrichts als konzeptionelle Problemstellung identifiziert, insofern Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft im Unterricht fortwährend hergestellt, in medienpraxeologischen Ansätzen in der Regel aber implizit vorausgesetzt werden.

    Die Habilitation nutzt das Medienkonstellationsmodell sowohl für Reflexions- und Gestaltungsprozesse in der partizipativen Projektarbeit, als auch zur Theoriearbeit an der Schnittstelle zwischen Medien- und Erziehungswissenschaft sowie zur Analyse medialer Phänomene. So konnte der Leiter der JRG z. B. die Medienkonstellationsanalyse, die Medien als ko-konstitutives Zusammenspiel aus Materialitäten, Wissen/Praktiken, Inhalten und Subjektpositionen in den Blick nimmt, in die aktuelle Methodendebatte innerhalb der Medienwissenschaft einbringen und einen entsprechenden Artikel dazu im für die Debatte zentralen Handbuch digitale Medien und Methoden platzieren. In der Erziehungswissenschaft konnte er einen Artikel zur bildungsbezogenen Medienkonstellationsanalyse in der Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik veröffentlichen, der vorschlägt, Bildung als Prozess der iterativen Einnahme und Aneignung von Subjektpositionen in verschiedenen Medienkonstellationen zu veranschlagen und zu analysieren und dadurch Medientheorie für die empirische Bildungsforschung produktiv macht.

    c) In der stark interdisziplinären Zusammenstellung der JRG findet ein regelmäßiger Austausch statt, in denen die Wissenschaftler über ihre Fragestellungen, Herangehensweisen und Zwischenergebnisse berichten. Daraus ergeben sich zum einen grundlegende Erweiterungen der jeweiligen disziplinären Perspektiven, z. B. durch die Erklärung technischer Funktionsweisen oder den Austausch über Interviewkonzepte. Zum anderen entstehen konkrete gemeinsame Publikationen. So konnten die Mitglieder der JRG u. a. die Einschreibungen behavioristischer Lehr- und Lernkonzepte in ein adaptives Lernsystem als Ergebnis einer informatischen Modellierung analysieren. Dabei arbeiteten sie heraus, wie Schüler*innen als Profile aus miteinander vernetzten Kompetenzen und Wissenslücken konzeptualisiert werden und Lernen als Prozess der Anpassung des eigenen Ist-Profils an von Programm vorgegebene Soll-Profile.


  • Transfer

    Kern des Transfers sind auf dem Medienkonstellationsmodell aufbauende Workshops zur Medienreflexion. Darüber hinaus wurden eine OER-Einheit zu Medienreflexion erarbeitet, Vorträge zu digitalen Medien in praxisbezogenen Kontexten gehalten, mehrere Gespräche bei Book a Scientist zu Privacy und digitalen Medien geführt, ein Podcast zu Postdigitaler Partizipation im Bildungsbereich erstellt sowie Stellungnahmen zu bildungspolitisch relevanten Papieren der KMK, der Ständigen wissenschaftlichen Kommission der KMK, des Stifterverbandes sowie dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung (mit-)verfasst.


  • Zentrale Publikationen
    • Weich, Andreas/Deny, Philipp/Friedewald, Michael/Priedigkeit, Marvin/Schiering, Ina (i. Ersch./2023): Let’s figure it out. Participatory means for reflecting educational media in a postdigital world. In: Macgilchrist, Felicitas/Weich, Andreas (Hg.): Postdigital Participation in Education. Who participates how in contemporary media constellations? Palgrave MacMillan.
    • Weich, Andreas/Kaldrack, Irina/Deny, Philipp (i. Ersch./2023): Videoconferencing in Teaching Constellations. In: Volmar, Axel/Moskatova, Olga/Distelmeyer, Jan (Hg.): Video Conferencing: Practices, Politics, Aesthetics. Bielefeld: Transcript.
    • Weich, Andreas (2023 online/2024 print): Medienkonstellationsanalyse. In: Stollfuß, Sven/Niebling, Laura/Raczkowski, Felix (Hg.):  Handbuch Digitale Medien und Methoden. Wiesbaden: Springer VS.
    • Deny, Philipp/Priedeigkeit, Marvin/Weich, Andreas (2023): Zwischen Vertrauen und Kontrolle. Postdigitale Medienkonstellationen im schulischen Unterricht. In: In Education We Trust? Vertrauen in Bildung und Bildungsmedien.
    • Weich, Andreas (2022): Bildungsbezogene Medienkonstellationsanalyse. Konturen einer vermittelnden Herangehensweise angesichts der Grenze zwischen Subjekt und Medien. In: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik. Themenheft: Bildung des Menschen im Anthropozän. Die Grenzen des Menschen neu erforschen. Einsätze Pädagogischer Anthropologie.
    • Priedigkeit, Marvin/Weich, Andreas/Schiering, Ina (2021): Learning Analytics and Privacy Respecting Privacy in Digital Learning Scenarios In: IFIP International Summer School on Privacy and Identity Management.
    • Weich, Andreas/Deny, Philipp/Priedeigkeit, Marvin/Troeger, Jasmin (2021): Adaptive Lernsysteme zwischen Optimierung und Kritik. Eine Analyse der Medienkonstellationen bettermarks aus informatischer und medienwissenschaftlicher Perspektive. In: Datengetriebene Schule.  Themenheft der Zeitschrift Medienpädagogik.
    • Weich, Andreas (2020): Hervorbringung von Medienkonstellationen statt Nutzung didaktischer Werkzeuge. Versuch einer medienkulturwissenschaftlichen Didaktik der Bildungsmedien am Beispiel von Videokonferenzen als Unterrichtsform. In: Medienimpulse. 2/20 Nähe(n) und Distanz(en) in Zeiten der COVID-19-Krise.
    • Weich, Andreas (2020): Digitale Medien und Methoden: Andreas Weich über die Medienkonstellationsanalyse. In: Open-Media-Studies-Blog, 16.06.2020.
    • Weich, Andreas/Koch, Katja/Othmer, Julius (2020): Medienreflexion als Teil „digitaler Kompetenzen“ von Lehrkräften? – Eine interdisziplinäre Analyse des TPACK und des DigCompEdu-Modells. In: k:ON – Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung, 1/2020, S. 43-64.

Projektteam

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