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Publikationen

Robert Maier (Hg.): Zwischen Zählebigkeit und Zerrinnen. Nationalgeschichte im Schulunterricht in Ostmitteleuropa

Band 112

2004. 319 S. ISBN 3-88304-312-5, 19,00 €

Eine Umfrage in Tschechien ergab: „Nicht nur Heydrich, sondern auch andere nationalsozialistische Funktionäre gehören zu den den tschechischen Schülern bekanntesten Gestalten der deutschen Geschichte.” „Die Deutschen werden als die gefährlichsten Nationalisten eingestuft.” Über die Hälfte der tschechischen Jugendlichen sieht in den Deutschen eine Art „Erbfeind”.

Wie verhalten sich die Schulbücher zu diesen Befunden? Der vorliegende Band belegt, dass speziell in Ostmitteleuropa die „nationalgeschichtliche Betrachtung” noch vielfach die Quintessenz des Geschichtsunterrichts darstellt. Der „Patriotismus” ist manchenorts als Bildungsziel tief verankert; die allgemeine Geschichte ist nur Hintergrund für die Darstellung der nationalen Geschichte; patriotische Lieder und „berühmte emigrierte Landsleute” werden als verbindlicher Lehrstoff definiert; vom Geschichtsunterricht wird verlangt, die „nationale und ethnische Identität” zu stärken, nationalen Stolz hervorzurufen und die Notwendigkeit der Landesverteidigung zu propagieren. In der Aufzählung der Leidensgeschichten werden Schulbücher zur Autobiographie der eigenen Nation, das Leiden der Anderen – auch der Minderheiten – wird marginalisiert oder übergangen. Die Momente größter territorialer Entfaltung des eigenen Staates werden in den Schulmedien als „Standbilder” festgehalten und wie Ikonen verehrt. Dennoch ist spürbar, wie ein Modernisierungsdruck diese Darstellungsweisen in die Defensive drängt. Nationale Selbstgewissheiten werden fragwürdig; Ethnozentrik trifft zunehmend auf Ablehnung, der verbindliche nationale Wissenskanon ist in Auflösung; Schulreformen und didaktisch-methodische Neuerungen fördern Pluralität, Kontroversität, kritische Ansätze, Bemühen um Sachlichkeit und faire Darstellung. Schüler und Schülerinnen sind nur mehr beschränkt bereit, primitive negative Stereotypisierungen einfach hinzunehmen.

Auf der Basis von Lehrplan- und Schulbuchanalysen sowie von Schülerbefragungen werden diese Entwicklungen in Polen, Tschechien, der Slowakei und Weißrussland nachgezeichnet. Deutschland ist in seinen beziehungsgeschichtlichen Bezügen zu Ostmitteleuropa in die Untersuchung integriert. Frankreich dient als „äußerer” Orientierungspunkt. Neben Geschichtsbüchern werden auch Schulbücher für Sozialkunde und Literatur herangezogen. Grenzen und Möglichkeiten multiperspektivischer Betrachtung und relativierender Historisierung des Nationalstaats werden an einem unterrichtspraktischen Modell vorgeführt.

Inhaltsverzeichnis


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