Sprachlich vermittelte Geschlechterkonzepte

Eine diskurslinguistische Untersuchung von Schulbüchern der Wilhelminischen Kaiserzeit bis zur Gegenwart

Schulbücher begleiten junge Menschen durch ihre Kindheit und Jugend hindurch und prägen ihr Wertesystem. Und trotz aller Konkurrenz durch andere Bildungsmedien ist die Bedeutung von Schulbüchern gerade für die Kernfächer bis heute ungebrochen. Diese innovative interdisziplinäre Arbeit geht der Frage nach, wie Geschlechterkonzepte in die Schulbücher gelangen – und auf welche Weise sie durch Sprache vermittelt werden. Untersucht wurden von der Preisträgerin Schulbücher von 1890 bis in die 2010er Jahre für den Deutsch- und Mathematikunterricht – Bücher also, die sich nicht explizit mit Geschlechterfragen befassen. Da Schulbücher jedoch abbilden, was von den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern ihrer Zeit als akzeptiertes oder wünschenswertes Wissen galt, lässt sich mit ihrer Hilfe nachvollziehen, welche Geschlechterrollen die Vorstellungen der jeweiligen Generationen mitbestimmten. Mit einem linguistischen Ansatz wird den Fragen nachgegangen, wie in Schulbüchern über die Geschlechter gesprochen wird, welche Akteure und Akteurinnen auf diese Darstellungen Einfluss nehmen, wie diese Prozesse in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebunden sind und welche Veränderungen sich im Laufe der untersuchten 120 Jahre gezeigt haben. Auch der institutionelle Entstehungszusammenhang der Bücher wird untersucht und durch Interviews mit Autorinnen und Autoren sowie Vertreterinnen und Vertretern von Bildungsverlagen ergänzt.   

Die Arbeit, die auf der Höhe der Zeit sowohl in Bezug auf die Schulbuchforschung wie auch die Geschlechterlinguistik ist, zeigt einen bemerkenswerten Überblick und ist methodisch exzellent. Die Fülle an Ergebnissen ist hochspannend und aufschlussreich – so zum Beispiel der Befund zu kollektivierenden Sprachformen im „Dritten Reich“, zu den Anstrengungen der gleichberechtigten Darstellung der Geschlechter in den 1980ern und dem erlahmenden Interesse an gendersensibler Sprache seit der Jahrtausendwende. Diese höchst aufschlussreiche Arbeit von überragender wissenschaftlicher Qualität zeigt nüchtern und überzeugend, wie generelle linguistische Entwicklungen Auswirkungen auf den Umgang mit Geschlecht haben.

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