Mitteilung

Nachruf auf Jean-Claude Allain

Jean-Claude Allain (1934-2008)

Jean-Claude Allain war eine tragende Säule der deutsch-französischen Schulbuchgespräche in den 1980er und 1990er Jahren. Geboren am 20. November 1934 in Lille in Nordfrankreich, begann er seine Berufslaufbahn ähnlich wie nicht wenige französische Hochschullehrer als Lehrer am Gymnasium. Nach Stationen in Saint-Maur, Lyon, Sézanne (Marne) unterrichtete er von 1960 bis 1967 am Janson de Sailly-Gymnasium in Paris, unterbrochen durch einen 27 Monate langen Wehrdienst in Algerien 1960-1962. Im Jahre 1967 wurde er Assistent an der Sorbonne, wo er sich 1974 habilitierte mit einer für französische Verhältnisse üblichen monumentalen Thèse d'Etat von 2189 maschinenschriftlichen Seiten zum Thema: Joseph Caillaux et la seconde crise marocaine, die in zwei starken Bänden 1978 bzw 1981 bei der Imprimerie Nationale in Paris in Buchform erschien.

Diese Habilitationsschrift, die unter Leitung von Jean-Baptiste Duroselle angefertigt wurde, ist der Forschungsrichtung der Relations internationales verpflichtet, einer von Pierre Renouvinerneuerten Diplomatiegeschichte, die nicht nur die zwischenstaatlichen Beziehungen auf der Ebene des Regierungshandelns erforscht, sondern - zentriert um den sozialwissenschaftlich geprägten Begriff der forces profondes - die tieferliegenden gesellschaftsgeschichtlichen Antriebskräfte des internationalen politischen Geschehens in die historische Deutung einbezieht. Das Thema der Arbeit gehört in den weiteren Umkreis der Erforschung der Ursachen des Ersten Weltkrieges; es ermöglichte dem Verfasser auch den Zugang zur deutschen Geschichte, die er aufgrund seiner soliden Kenntnis der deutschen Sprache in den Originaltexten studieren konnte. Von 1978 bis 1989 war Jean-Claude Allain als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Le Mans und danach bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2000 an der Universität Paris 3 - Sorbonne nouvelle tätig. Neben seiner intensiven Lehrtätigkeit und der Mitwirkung in 205 Doktorprüfungskommissionen hat er eine ausgedehnte Publikationstätigkeit auf Forschungsfeldern zur europäischen Geschichte entfaltet und die Schriftleitung der Zeitschriften Guerres mondiales et conflits contemporains (1995-2006) und Relations internationales (2005-2007) innegehabt.

Der französische Geschichts- und Geographielehrerverband (APHG) beauftragte Jean-Claude Allain mit der Leitung der französischen Gruppe in der deutsch-französischen Schulbuchkommission, die auf deutscher Seite vom Georg-Eckert-Institut betreut wurde. In dieser Eigenschaft nahm er kontinuierlich an den alljährlich stattfindenden Schulbuchgesprächen mit fachwissenschaftlichen Beiträgen, Schulbuchanalysen und an der Formulierung von Empfehlungen teil, die besonders von der französischen Seite gefordert wurden. Am Enstehen der Bände 51, 57 und 101 der Schriftenreihe des GEI (Deutschland und Frankreich - Raum und Zeitgeschichte, 1988; Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert, 1989; Industrialisierung und Industrieregionen, 1999) hatte er beträchtlichen Anteil. Das letzte Projekt im Rahmen der deutsch-französischen Schulbuchgespräche über die Darstellung der europäischen Einigung La construction de l'Europe geht auf seine Anregung zurück [1]. Für diese interdisziplinäre Schulbucharbeit brachte Allain die besten Voraussetzungen mit: Sein immenses historisches Wissen ließ ihn nie den pädagogischen Zweck der gemeinsamen Arbeit vergessen, denn es war stets auf den vergleichsweise bescheidenen Rahmen des im Schulunterricht Möglichen gerichtet. Hier kamen ihm besonders seine Unterrichtserfahrungen an der Schule zugute. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unseren Schulbuchtagungen hatten bei der Abfassung gemeinsamer Empfehlungstexte oft Gelegenheit, eine weitere Fähigkeit Jean Claude Allains zu schätzen: die Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte in präzisen und prägnanten Wendungen auf den Punkt zu bringen. In einer Art Bilanz der deutsch-französischen Schulbuchgespräche hat er betont, dass eine starke personelle Kontinuität und ein auf lange Dauer angelegter wissenschaftlicher Dialog eine notwendige Bedingung für den Erfolg der internationalen Arbeit an sensiblen Themen seien [2]. Geschichte ist eine kumulative Wissenschaft. In der Tat: Ohne die genannte Bedingung wäre auch das Deutsch-Französische Geschichtsbuch, von dem bisher zwei Bände bei Klett und Nathan veröffentlicht worden sind, wohl nur schwer vorstellbar.

Jean-Claude Allain ist am 20. Dezember 2008 nach einer schweren Krankheit in Paris gestorben.

Rainer Riemenschneider, Montpellier
April 2009


[1] Jean-Claude Allain (avec Nicole Piétri): La construction européenne dans les manuels d'histoire de la République fédérale d'Allemagne 1949-1999, in: Michel Catala (Hrsg.): Histoire de la construction européenne. Cinquante ans après la Déclaration Schuman, Nantes 2001, S.525-537.

[2] Jean-Claude Allain: Manuels d'histoire et réconciliation franco-allemande, in: Claude Carpentier (Hrsg.): Identité nationale et enseignement de l'histoire. Contextes européens et africains, Paris 1999, S.161-172.


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